Helft Vietnamesischen Kindern mit Hydrocephalus

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Wenn Hoa lächelt, ist es als ob gerade die Sonne aufgegangen ist. Es ist das breiteste Lächeln, das ich jemals gesehen habe. Man könnte denken, dass sie eben an etwas unglaublich Lustiges gedacht hat. Ihr Lächeln ist ansteckend und ich kann es kaum erwarten, bis sie mir den Witz erzählt, über den sie gerade nachgedacht hat. Doch das wird niemals passieren. Denn Hoa kann nicht sprechen. Höchstwahrscheinlich kann sie auch weder hören noch sehen. Sie kann sich kaum bewegen. Hoa leidet unter Hydrocephalus, besser bekannt als „Wasserkopf“.  Eine Krankheit, die schon jetzt ein frühes Ende ihres so jungen Lebens entschieden hat. Hoa ist drei Jahre alt und lebt in einem Kinderheim in Vietnam, von ihren Eltern zurückgelassen. Und Hoa ist nicht die Einzige.

Hoa teilt sich ihr Zimmer mit zwanzig anderen jungen Kindern. Sie leben in einem kleinen Raum im zweiten Stock eines großen Kinderheims in einer Großstadt in Vietnam. Sie sind zwischen einem und zehn Jahren alt und alle leiden unter schweren Behinderungen, die Mehrheit von ihnen unter Hydrocephalus.

Was genau ist Hydrocephalus?

Hydrocephalus ist ein Gehirnleiden, das auftritt, wenn die Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit (GRF) nicht vom Gehirn abfließen kann. Das ist ist die Flüssigkeit, die sowohl das Gehirn als auch das Rückenmark umgibt und gleichzeitig beschützt. Es fließt normalerweise durch verschiedene Kanäle des Gehirns bis es den Schädel und die Wirbelsäule füllt und schließlich ins Blut rückgeführt wird. Gibt es jedoch eine Blockierung dieses Verlaufes, dann stoppt die Flüssigkeit, breitet sich aus und löst somit Hydrocephalus aus.

Menschen jeden Alters können unter Hydrocephalus erkranken. Ursachen sind beispielsweise Kopfverletzungen oder Tumore. Meistens jedoch ist es eine Krankheit, die schon im Mutterleib startet. Sobald ein Baby geboren ist schwillt der Kopf des Kindes an, um Platz für die überschüssige Flüssigkeit zu schaffen. Das Resultat ist ein unproportioniert großer, ungeformter Kopf, der allgemein als „Wasserkopf“ bezeichnet wird. Ohne eine frühzeitige Behandlung führt Hydrocephalus zum Verlust mentaler und physischer Fähigkeiten und resultiert häufig in einem frühen Tod.

 

Der Moment, in dem man zum ersten Mal mit Hydrocephalus in Berührung kommt

Als ich zum ersten Mal das Kinderheim besuchte, hatte ich so gut wie kein Wissen in Bezug auf die medizinische Diagnose von Hydrocephalus. Alles was ich bis dahin gesehen hatte, waren Bilder im Internet und Fernsehen von Kindern mit großen Köpfen. Ich muss zugeben –  ich war geschockt. Da lagen diese kleinen Kinder auf einer Matte auf dem Boden, mit Köpfen, die einfach viel zu groß für ihre kleinen Körper waren. Unfähig sich zu bewegen. Unfähig zu sprechen. Unfähig zu sehen oder zu hören. Sie lagen einfach nur da, bewegungslos, und starrten an die Decke. Mich überkam ein unglaubliches Mitleid und ich konnte kaum meine Tränen zurückhalten. Eine Reaktion, die wie ich glaube, viele von uns haben würden, wenn sie zum allerersten Mal mit einer Krankheit wie dieser konfrontiert würden.

Aber lasst mich euch sagen – diese Kinder sind wunderschön. In jeder Art und Weise. Woher ich das weiß? Seit sechs Monaten besuche ich die Kids zwei Mal pro Woche im Namen der Little Feather Foundation (LFF). [dt: Kleine Feder Stiftung] Die Nichtregierungsorganisation wurde von zwei Australierinnen gegründet, deren Überzeugung es ist, dass jedes Kind, sei es noch so schwer behindert, ein Recht auf Liebe und Fürsorge hat. Die Eltern der Kinder waren aus unterschiedlichsten Gründen nicht in der Lage, sich selbst um ihr Kind zu kümmern und gaben sie auf. Alles, was die Kinder noch als Bezugspersonen haben, sind eine Hand voll Krankenschwestern und sogenannte Nannies, die sich um alltägliche Dinge wie Windeln wechseln, waschen, etc. kümmern. Da das Kinderheim von der Regierung finanziert wird, reicht das Geld lediglich für eine Nanny auf zehn Kinder. Was nicht einmal ansatzweise genug ist. Stellt euch vor, ihr seid ein Kind und leidet ständig unter starken Kopf – und Muskelschmerzen. Oder schlimmer, der Druck auf eurem Schädel vom ständigen Liegen hat die Haut aufbrechen lassen und ihr habt nun offene Kopfwunden. Und niemand ist da, der sich um euch kümmert, in den Arm nimmt oder einfach nur eure Hand hält. Eine harte Vorstellung. Genau dies ist es, das die Little Feather Foundation entschied zu ändern. Wir können die Krankheit nicht verschwinden lassen, aber wir können den Kindern Liebe und Wärme geben und gleichzeitig versuchen, die Schmerzen durch verschiedene Methoden so weit wie möglich zu lindern. Diese Art von Fürsorge wird Palliativpflege genannt.

Palliativpflege – was ist das?         

Es gibt so viele verschiedene Wege und Möglichkeiten, den Schmerz der Kinder zu reduzieren und ihnen gleichzeitig das Gefühl zu geben, geliebt zu werden und nicht allein zu sein. Jeden Morgen setzen wir die Kinder in Babyschaukeln. Da sie aus eigener Kraft ihren Kopf nicht aufrecht halten können, liegen sie die meiste Zeit des Tages. Das Aufsetzen reduziert den Druck auf den Kopf und kräftigt gleichzeitig die Nackenmuskulatur. Danach säubern wir ihre Augen von Schlafresten und nutzen Vaseline führ ihre trockenen Lippen. Beinmassagen mit Babyöl helfen Verspannungen zu lösen, entspannen die Kinder und regen ihre Durchblutung und Verdauung an. Und wir kuscheln viel. Jeder, der Kinder hat oder viel Zeit mit Kindern verbracht hat, weiß – Kinder lieben es zu kuscheln. Das ist nicht anders für Kinder mit Hydrocephalus. Nur weil sie es nicht sagen können, heißt es nicht, dass sie sich nicht nach Aufmerksamkeit sehnen und sich über eine kräftige Umarmung freuen würden. Wir machen einfach nur das, was man mit jedem anderen Kind machen würde – wir sprechen mit ihnen, lächeln mit ihnen, verbringen ganz einfach Zeit zusammen. Und was ich in diesen Zeiten erlebt habe, ist kaum in Worte zu fassen.
Es kann harte Arbeit sein, Trieu in ihre Babyschaukel zu setzen. Das Mädel ist schwer! Aber sie ist so süß. Von allen Kindern mag es für manch einen zu Beginn am schwersten sein Trieu anzusehen. Ihr Kopf ist größer als die Köpfe der anderen Kids und manchmal rollen sich ihre Pupillen hinter ihre Lider, was sie etwas gruselig aussehen lässt. Aber sobald man sich daran gewöhnt hast, realisiert man, wie lieb sie ist. Sie schläft mit offenen Augen und schreit nur, wenn ihre Verdauung nicht so will wie sie – was zum Glück immer weniger passiert.

 

 

Mai ist ein Schatz. Sie schläft prinzipiell die ganze Zeit. Ich glaube, ich kann an fünf Fingern die Tage abzählen, an denen sie sich nicht weinend darüber beschwert hat, aufgeweckt worden zu sein, um in eine Babyschaukel gesetzt zu werden. Aber sobald sie dann sitzt, schläft sie in weniger als zehn Sekunden wieder ein.

 

Falls ihr euch für Mediation interessiert, wendet euch an Lien. Sie ist der absolute Guru. Wo auch immer sie ist, ob liegend in ihrem Bett, auf der Matte auf dem Boden oder aufrecht im Sitzsack – sie lässt nicht von ihrer Meditations-Pose ab. Es ist pures Yoga: Die Arme in einer halben Dreieckspose mit zusammen gepressten Daumen und Zeigefinger. Und wenn sie sich dann von ihren wiederkehrenden Hustenanfällen erholt und dieses kleine „Aaaah“-Geräusch macht – es ist einfach zu süß.
IMG_20171010_104211Minh Hy ist einer der wenigen Jungs im Zimmer. Als ich anfing, die Kids zu besuchen, ging es ihm den Umständen entsprechend gut, doch seit einigen Wochen, fast Monaten nun, geht es ihm immer schlechter. Da er häufig zu lange in der gleichen Position lag, entwickelten sich Druckstellen auf seinem Kopf, die die Haut aufbrachen und zu offene Wunden wurden. Er kann nun schon seit einigen Wochen nicht mehr mit den anderen Kindern auf der Matte auf dem Fußboden liegen, da jede Art von Bewegung ihm schlimmste Schmerzen bereitet. Es bricht jedes Mal mein Herz, ihn in seinem Bett in der Ecke des Raumes liegen zu sehen, mit seinen kleinen Händen zu Fäusten geballt, leise vor sich hin wimmernd unter Schmerzen, die kaum zu ertragen sein müssen. In diesen Momenten fühlt man sich wirklich komplett hilflos. Aber alles, was wir tun können, ist versuchen, ihm die Schmerzen in irgendeiner Art und Weise erträglicher zu machen. Etwas, das zu helfen scheint, sind Lollies – wir halten ihm einen Lolli and den Mund und er schmeckt ihn mit seiner Zunge. Da alle Kinder im Raum ihre Nahrung ausschließlich durch Magensonden erhalten, ist dies der einzige Weg für sie, tatsächlich etwas zu schmecken. Oh, und was für eine Freude es ist, Minh Hy dabei zu betrachten, wenn er an dem Lolli lutscht! Für dreißig Minuten seines Tages kann er den Schmerz vergessen und die Geschmacksexplosion auf seiner Zunge genießen. Es ist wunderschön anzusehen.

Und dann ist da noch Minh Phúc. Ich weiß, man sollte eigentlich keine Favoriten haben –aber wie könnte ich nicht? Dieser Junge ist einfach nur pure Freude. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kindern, leidet Minh Phúc nicht unter Hydrocephalus. Stattdessen bewirkt seine Krankheit genau das Gegenteil – anstatt anzuschwellen wächst sein Kopf nicht mehr. Bei manchen Kindern im Raum sind wir uns ziemlich sicher, dass sie blind sind und uns nicht sehen können – bei Minh Phúc jedoch weiß man das nicht so genau. Ich besuche die Kids nun regelmäßig seit gut sechs Monaten – und ich weiß, es ist sehr unwahrscheinlich, aber manchmal könnte ich schwören, dass er mich erkennt. Wann immer ich zu seinem Bett komme, streiche ich seine Wange in dergleichen Art und Weise und in der letzten Zeit hat er angefangen, mich mit diesem schrägen Lächeln anzugrinsen, dass dein Herz einfach nur schmelzen lässt. Oh, und wartet nur darauf, bis er gute Laune hat. Der Junge kann singen! Er gibt diese „Oooooh“ und „Aaaaaah“ Geräusche von sich, und in was für einer Lautstärke. Er erinnert mich dann immer an diesen alten Cowboy, der nach einem Tag harter Arbeit im Pub bei einem kühlen Bierchen sitzt und seinen Freunden von all dem Unfug berichtet, den er an dem Tag angestellt hat. Genau das ist Minh Phúc. Er bringt mein Herz regelmäßig zum Schmelzen.

Natürlich gibt es noch viele weitere Kinder, die ich hier (im Versuch, diesen Artikel längentechnisch nicht total übersprengen zu lassen) leider nicht alle namentlich erwähnen und beschreiben kann. Obwohl jedes einzelne Kind es mehr als verdient hätte.

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Es ist schwer sich vorzustellen, wie das Leben für diese Kinder sein muss, die unter Hydrocephalus leiden. Sie wurden mit einer Krankheit geboren, die nicht ihre Schuld ist. Und hier kommt der vielleicht tragischste Teil des Ganzen: Hydrocephalus ist heilbar. Mit einer frühen Diagnose und einer schnellen und richtigen Behandlung können die meisten Kinder erfolgreich genesen. Aber eine solche Behandlung ist teuer. Es ist Geld, das die meisten Menschen in Vietnam einfach nicht haben. Zumindest nicht die tausenden von Vietnamesen, die in den noch immer sehr armen, ländlichen Gegenden des Landes leben. Anstatt die Chance auf ein normales Leben zu bekommen, wurden diese Kinder von ihren Eltern verlassen und leben nun in einem großen Kinderheim in der Mitte einer noch größeren Stadt. Sie verlassen selten ihr Bett und sehen so gut wie nie etwas anderes als diesen einen Raum. Sie verbringen jeden Tag hier, ohne dass jemand sie besuchen kommt und Zeit mit ihnen verbringt, ihre Hand hält oder ihnen eine Umarmung schenkt. Bis auf uns für drei Stunden am Tag und einer Hand voll Nannies, die kaum mehr Zeit haben, als ihnen kurz über die Wange zu streichen. Sie leiden regelmäßig unter starken Kopf- und Muskelschmerzen und haben im schlimmsten Fall offene Wunden am Kopf, die ihnen extreme und fast nicht ertragbare Schmerzen bereiten. Das ist die Situation aus einem traurigen Sichtwinkel betrachtet. Eine wahre, aber dennoch traurige Sichtweise.

Ich mag diese Beobachtungsweise nicht. Stattdessen möchte ich uns alle dazu anstiften, die positiven Dinge zu sehen. Ja, alles oben Gesagte stimmt. Aber diese Kinder sind mehr als nur das. Dies sind zwanzig Individuen, die alle ihre eigene Persönlichkeit haben. Jeder und jede von ihnen ist einzigartig in seiner und ihrer Art und Weise. Nichts in der Welt klingt so wie Minh Phúcs Gesang und ich kenne kein schöneres Lächeln als Hoas. Aufgrund ihrer starken Behinderungen ist es einfach zu vergessen, dass diese Kinder ganz genauso sind wie du und ich. Sie wollen geliebt und geknuddelt werden. Sie schreien aus vollem Halse, wenn sie glauben, dass sie nicht genug Aufmerksamkeit bekommen und die Sekunde, in der man sie auf den Arm nimmt, beruhigen sie sich und schenken dir ein freches Lächeln.  Sie sind ganz genau wie du und ich. Also lasst uns sie auch so behandeln und ihr Leben so schön wie möglich machen. Ich kenne keine andere Gruppe von Kindern, die es mehr verdient hätte.

Leider leben wir in einer Welt, in der Geld regiert. Und in einem armen Land wie Vietnam tut es das noch umso mehr. Da das Kinderheim von der Regierung finanziert wird, ist Geld etwas, das einfach nicht vorhanden ist. Was als Ergebnis dazu führt, dass so gut wie alles, was die Kinder benötigen, aufgrund von Spendengelder vorhanden ist. Die Babyschaukeln wurden von Spendengeldern bezahlt. Die Kissen aus Mikrofasern, die für ein bequemes Liegen ohne Schmerzen unabdingbar für die Kinder sind, wurden von Spendengeldern gekauft. Die Kleidung, die die Kids tragen, die Bücher, die wir ihnen vorlesen, das Babyöl für ihre Beinmassagen, sogar die Medizin und Verbandstoffe sind nur da aufgrund von Spendengeldern. Wir können ihnen die Liebe und Umarmungen geben, die sie verdienen –  aber für den Rest brauchen wir euch. Jeder Euro hilft. Und ich sage das nicht nur, weil man das eben so sagt, nein, ich sage es, weil es stimmt.

Ich habe eine justgiving- Spendenaktion-Webseite erstellt, auf der jeder von euch, der möchte und es für wichtig erachtet, etwas spenden kann. Mit eurer Spende können wir neuen Verbandsstoff für Nhan und Minh Hy kaufen, sodass ihre Wunden gut geschützt sind und somit hoffentlich bald heilen können. Wir könnten mehr Mikrofaserkissen kaufen (da wir momentan einfach nicht genug haben), die von vornherein dafür sorgen würden, dass diese schlimmen Kopfwunden erst gar nicht entstehen. Und wir könnten endlich mehr Babyschaukeln und Sitzsäcke kaufen, da die Kinder langsam aber sicher aus den alten herauswachsen. Dann kann Lien endlich ihre Meditationen im Sitzen anstatt liegend auf dem Boden betreiben.

Diese Kinder werden auch weiterhin unter Hydrocephalus leiden. Ihre Eltern werden noch immer nicht zurückkommen und sie wieder mit nach Hause nehmen. Aber ich versichere euch aus der Tiefe meines Herzens, mit eurer Hilfe, wie groß oder klein sie auch sein mag, zusammen können wir das Leben dieser Kinder soweit mit Freude, Lächeln und Liebe füllen, wie es unter den Umständen nur möglich ist. Sie werden niemals in der Lage sein, euch zu danken, aber diese Momente, wenn sie einen anlächeln, sind alle „Dankeschön“s der Welt zusammen. Danke!

 

Hier findet ihr den Link, falls ihr den Kindern mit ein paar Spenden helfen möchtet

→Bitte hier klicken←

Ihr seid herzlich dazu eingeladen, die Webseite der kleinen NGO, für die ich Freiwilligenarbeit leiste, auszuchecken: http://www.littlefeatherfoundation.org/ (Ihr könnt auch direkt über ihre Webseite spenden.)

Last but definitely not least – wenn ihr findet, dass dies eine wichtige Sache ist, dann fühlt euch bitte herzlichst dazu eingeladen, diesen Artikel sowie den justgiving-Link mit Familie, Freunden, Arbeitskollegen und dem Nachbar am Ende der Straße zu teilen. Und falls ihr Fragen jeglicher Art habt, meldet euch gern bei mir unter dem Kontaktformular auf diesem Blog. 🙂 Ich danke euch!

 

… und hier sind noch ein paar weitere Impressionen unserer Kinder …

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